Gründungsjahr und Einführung
Ob es die Erkenntnis war, dass Singen Herzen freistaubt, oder der Zeitgeist nach der Apokalypse Harmonie und Gleichklang beschwor – die Jahre nach dem I. Weltkrieg waren geprägt von Unsicherheit, Armut und Elend. Extremismus und politische Zwietracht verwirrten. Der Zeit der Lügen folgte übergangslos eine Phase der schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Die Rückbesinnung auf gesellschaftlich zusammenhaltende Werte wurde oft beschworen, fand tatsächlich und leider nur in kleineren Kreisen statt.
Die Männer und Jünglinge aus dem Kirchspiel Fernthal op de Dreischläjer Kant, die sich vor diesem Hintergrund trafen, beabsichtigten, einen weittragenden Beschluss zu fassen. Im Kleinen zu wirken und Gutes zu tun, war ihr Ziel.
Singen vermittelt Lebensfreude, heißt es so treffend im Grußwort von Peter Strauch. Dieser Leitsatz steht bis heute über dem Kirchenchor, wirkt wie eine Aura, bündelt alles in einer nach Datenmenge offenen Cloud, um es mit modernen Worten auszudrücken.
Sonntag war’s. Das Schlusslied der Messe klang noch nach. Die Plätze im Dreischläger Lokal Koch waren freigeräumt. Georg Plier, seinerzeit Lehrer, begrüßte die im Rund sitzenden, je Sieben zu seiner Rechten und Linken. Zur Gründungsversammlung des Kirchenchores hatte er eingeladen; er, der sich mit Noten auskannte, reden, vorstehen und leiten konnte, er, der sich auf den seit dem 19.06.1898 bestehenden Männergesangverein „Liederkranz“ berief.
Die Begrüßung war kurz und bündig … Westerwälder Art. Die vorbereitete Satzung, abgestimmt mit Pastor Hugo Franz Mues, wurde verlesen. Dann die einstimmige Beschlussfassung mit Vorstandswahlen. Chorproben wurden auf Dienstag- und Freitagabend in der Fernthaler St. Mariä Himmelfahrt Kapelle gelegt, Eintrittsgeld und monatlicher Beitrag wurden bestimmt und alles am Ende mit einem kräftigen Schluck besiegelt.
Das erste Chorvermögen, so der Mitgliederwille, soll für die Anschaffung weltlichen Liedgutes verwendet werden. Immerhin waren durch Eintrittsgeld (2 Mark) und den monatlichen Beitrag (1 Mark) schon 45 Mark im Topf.
Max Thomas, soeben Kassierer geworden, mit seinen Vorstandskollegen Heinz Ewens und Franz Schulte bedankten sich und wünschten dem neuen
KIRCHENCHOR FERNTHAL
stets den richtigen Ton bei guter Stimmung. G. Plier, gerade zum Dirigenten aufgestiegen, schloss sich dem an. Gewählt zum 2. Vorsitzenden, sprach H. Ewens das Schlusswort, bat Schriftführer F. Schulte um das Gründungsprotokoll verlas nochmals die Satzung und beendete die Versammlung. Der Chor war gegründet.
Das Ganze trug sich am 5. Februar 1922 zu. Aus dem Gründungsprotokoll geht nicht hervor, ob die Runde bis zur ersten Chorprobe zwei Tage später zusammensaß oder sich rechtzeitig zum Tischgebet beim traditionellem Sonntagsmahl zu Hause einfand.
Protokollbuch Nr. 1 von 1922 (m) mit Gründungsurkunde, Seite 1 (l), Satzung (r) zum „Kirchenchor Fernthal“ (Auszug aus Protokollbuch).
Sein hundertjähriges Chorjubiläum zu feiern, ist schon etwas Besonderes. Eine Chronik, zumindest in geraffter Form, untermalt das. Sie gehört mit Wort und Bild, eingebettet in Geschichte und umrahmt von Geschichten, belebt mit Daten und Namen, einfach dazu.
Exakt sind es 950 Protokoll- und Chronikseiten, eine Festschrift zum 90-jährigen Bestehen des Kirchenchores und ein Kalender-Bildband zur 800-Jahr-Feier Neustadt/Wied, Gespräche und Interviews sowie persönliche Aufzeichnungen aus den letzten Mitgliedsjahren im Kirchenchor des Chronisten, die ausgewertet dieser komprimierten Festschriftfassung zu Grunde liegen.
Seit mehr als 250 Jahren gibt es im deutschsprachigen Raum Chöre im heutigen Sinne. Bereits 1755 gründete sich die Singgesellschaft Wetzikon in der Schweiz, sozusagen der erste Chor überhaupt. Anfänglich Singgemeinschaften oder -gesellschaften, traten sie im 19. Jahrhundert als Gesangvereine auf. Eine blühende Chorlandschaft zur damaligen Zeit.
Im 20. Jahrhundert gründeten sich aus der verbreiteten Singbewegung die neueren Kirchenchöre, pflegten den Gesang kirchlicher wie auch weltlicher Lieder, sammelten Liedgut und Partituren. Die Tradition achtend, gepaart mit Geselligkeit, ortsansässig, sind sie gern gesehene Partner im Umfeld ihrer Region. Fröhliches und gemeinsames Singen unterschiedlicher Musikwerke, belebt um Einflüsse aus dem englisch sprachigen Raum und nordeuropäischen Kompositionen, boomten in den letzten Jahrzehnten. Geschätzt werden 3,3 Millionen Menschen, die in mehr als 61.000 Chören in Deutschland singen. Die katholischen Kirchenchöre sind im Allgemeinen Cäcilienverband für Deutschland organisiert, er vertritt rd. 16.000 Chöre und über 400.000 Singende.
Zur Entwicklung der Chormusik trug in wesentlichem Maße der preußische Musikpädagoge und Professor Carl Friedrich Zelter (*11.12.1758, †15.05.1832) bei. Sein kulturpolitischer Einfluss im 19. Jahrhundert – Duzfreund Goethes – war immens. Er gründete Singschulen, Liedertafeln, Chorvereinigungen und das Institut für Kirchenmusik in Berlin. Ihm gebührt große Ehre.
Der Bundespräsident verleiht jährlich an Amateurchöre, die sich langjährig besondere Verdienste um Chormusik erworben haben, die Zelterplakette.
Zelterplakette; Vorderseite: Bildnis C. F. Zelter, Rückseite: Bundesadler; Auszug aus Bundesgesetzblatt BGBl. I S. 1761.
Beantragt in 2021 ging bei der Chorleitung Fernthal kurz vor Weihnachten die Nachricht ein, dass der Empfehlungsausschuss der Verleihung der Plakette zugestimmt habe. Seit Juli 2022 ist unser Kirchenchor auch offiziell Träger der Zelterplakette: sie wurde in würdigem Rahmen auf Landesebene am 25. September 2022 im Rheintal-Kongress-Zentrum in Bingen vom Landesmusikverband überreicht. So geehrt, erfreuen wir uns über die Auszeichnung mit der Formulierung
KIRCHENCHOR CÄCILIA FERNTHAL 1922
GEGRÜNDET AM 5. FEBRUAR 1922
Ob wir heute noch so singen wie vor hundert Jahren, können wir phonetisch nicht beweisen. Die Recherchen in den mittlerweile 9 Protokoll- und Chronikbüchern belegen eine an sich nicht geänderte Vielfalt. Über Jahrzehnte überwogen während der Messen wie auch öffentlich vorgetragene sakrale / liturgische Gesänge, Mischungen aus klassischen Partituren und Volksliedern bei den Sängerfesten, den Vereinsauftritten und privaten Feiern. Die Auswertung des Liedgutes bei Chorproben, Auftritten bei Sänger- / Chorfesten, öffentlichen, Vereins- und privaten Veranstaltungen weist für die Jahre 1995 bis 2005 insgesamt 236 unterschiedliche Lieder nach. Heute umfasst das Chorrepertoir neben liturgischen und klassischen Werken, modernes Liedgut aus den Bereichen Rhytm&Blues, Gospel, Folk, Rock, Pop und Schlager.